Energieeffizienz

Energiemarkt, Quo vadis?

Es gibt Situationen, in denen sich nicht nur Menschen „ihre Wunden lecken“, sondern auch Unternehmen. Das gilt besonders für die Blessuren, die Folge der Verwerfungen auf dem Energiemarkt im Krisenjahr 2022 sind und mit denen sie immer noch zu tun haben.

Ein stark verknapptes Angebot

Ein stark verknapptes Angebot an russischen Erdgasliefermengen, ausgeprägte Dürreperioden mit niedrigen Flusspegelständen bei einer stetig hohen Nachfrage nach Kohle und Erdgas aus dem konkurrierenden asiatischen Raum stellte eine Zäsur der bisher bekannten preislichen Implikation dar. Wir erinnern uns: Im August 2021 wurde das Kalenderjahr 2023 (Strom) in der Spitze bei über 950 €/MWh (Base) und im Gas bei über 310 €/MWh abgerechnet. Untertägige Preisschwankungen von über 80 €/MWh am Stromterminmarkt waren in der Phase kontinuierlicher Unsicherheit sowie stetig angepasster Risikoaufschläge keine Ausnahme mehr. Erst eine durch den milden Winter begünstigte Versorgungslage, u.a. mit Liquified Natural Gas (LNG), eine hohe Zahlungsbereitschaft und die damit verbundene vorzeitige Erfüllung der Speichervorgaben, konnte die Preisrallye an den Energiemärkten zum Ende des Jahres dämpfen.

Strommarkt vollzieht Korrektur.

Zu Beginn des Jahreswechsels setzte der Stromterminmarkt seine Korrektur weiter fort: In Folge rückläufiger Notierungen dominierender Brennstoffe, wie Kohle und Erdgas und den sukzessiven Abbau von Risikoprämien, fiel dieser deutlicher aus als zuvor von Marktteilnehmern angenommen wurde. Hinzu kamen nach unten angepassten Prognosen für die Wirtschaftsleistung Deutschlands, die sich mit Ablauf des zweiten Quartals 2023 in einer technischen Rezession manifestierten.

Das Lieferjahr 2024 wird in der Jahresbetrachtung im Mittel bei ca. 150 €/MWh (Base) gehandelt, was in der Tendenz dem Juni-Niveau des Vorjahres entspricht. Die Lieferjahre 2025 und 2026 bewegen sich ebenfalls in einem konsolidierenden Umfeld und befinden sich derzeit in einer gemittelten Preisspanne im Bereich der 130- bzw. 115-Euro-Marke (Base). Im kurzfristigen Handel (Spotmarkt) machen sich die Auswirkungen einer reduzierten Gasnachfrage sowie die durchschnittliche Verfügbarkeit erneuerbarer Energien unmittelbar bemerkbar. Die durchschnittlichen Day-Ahead-Auktion-Monatspreise (Strom, volumengewichtet) haben seit Februar 2023 die 100-Euro-Marke (Stand: August 2023) nicht mehr überschritten.

Gas- und Kohlemarkt verlieren, Zertifikatmarkt gewinnt

Einmal mehr machte sich die kurze Heizperiode des Winters 2022/2023, die hohen Zuwächse beim Gasimport aus dem europäischen Ausland sowie die kontinuierliche Einspeicherung im Sommer in der Preisentwicklung bemerkbar. Konträr zu den versorgungsbedingten Korrekturen am Gasmarkt, sorgt ein kontinuierlich fester europäischer Emissionshandel (EU-ETS) für preisliche Unterstützung. Notierungen im Bereich der 95-Euro-Marke für die Tonne CO2, die marktseitig erst mittelfristig gesehen wurden, konnten bereits im März 2023 kurzfristig durchstoßen werden – mit unmittelbarer Auswirkung auf den Strompreis.

QUO VADIS ENERGIEMARKT – welche Entwicklungen sind derzeit absehbar?

Politisch induzierte Maßnahmen, wie bspw. die Ersatzbeschaffung fossiler Energie oder die Verabschiedung von Entlastungsmechanismen im Sinne von Soforthilfen oder Energiepreisbremsen, konnten indirekt zur Beruhigung der Märkte beitragen. Es ist jedoch anzunehmen, dass diese prophylaktischen Maßnahmen einen auf die kurze Frist limitierten Behandlungsansatz darstellen.

Diskussionen um einen einheitlichen „Industriestrompreis“, so wie er derzeit aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) gefordert wird, können eine Verlängerung staatlicher Nothilfen für ausgewählte Industriezweige darstellen. Als Substitution potenziell wegfallender oder sich verteuernder und für die Verstromung relevanter Primärenergieträger, kann dies nach aktueller Betrachtung nicht gewertet werden.

Warum dies so prekär ist, lässt sich anhand des sukzessiven Rückbaus von Grund- und Spitzenlastkraftwerken sowie einem weiterhin stockenden Ausbau der Erneuerbaren Energien verdeutlichen. Zur Erinnerung: Im April 2023 wurden drei weitere Kernkraftwerke abgeschaltet und dem Markt nochmals ca. 4 GW an installierter Leistung zur Deckung der Grundlast entzogen. Bis 2025 sollten insgesamt ca. 16,1 GW installierte Leistung, u.a. die bereits abgeschalteten sowie diverse Braun- und Steinkohlekraftwerke, vom Netz gehen. Der Zubau stark fluktuierender Leistung aus erneuerbaren Energien (Solar und Wind) kann auch unter Berücksichtigung der im Koalitionsvertrag hinterlegten Ausbaupfade weiterhin als schleppend bezeichnet werden – von einer beschleunigten „Genesung“ kann nach aktuellem Stand nicht ausgegangen werden. Aufgrund der dargebotsabhängigen Bereitstellung, fehlender wirtschaftlicher Speichermöglichkeiten sowie der ungeklärten Frage der Substitution im Hinblick auf grundlastfähige Technologien, kann in der Tendenz von einer weiteren Zunahme der Importabhängigkeit ausgegangen werden. Die somit fortwährende Relevanz von konventionellen Kohle- und Gaskraftwerken zur Deckung der Grund und Spitzenlast kann, auch unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit französischer Kernkraftwerke, als unterstützend für die Primärenergiemärkte und in der Folge auch für den Emissionshandel verstanden werden.

„Alternative, langfristige und dezentral strukturierte Beschaffungsalternativen gewinnen an Bedeutung.“

Welche Handlungsoptionen im unsicheren Marktumfeld ergeben sich perspektivisch?

Die aktuellen Entwicklungen an den Energiemärkten zeigen deutlich, dass es angesichts steigender Anforderungen an das Energiekosten-, Risiko- und Nachhaltigkeitsmanagement von produzierenden Unternehmen nicht mehr möglich ist, einfach so weiterzumachen wie bisher. Sowohl der klassische Festpreis-Energieeinkauf als auch die Beschaffung über den Spot-Markt können als singuläre Beschaffungsoptionen in Frage gestellt werden. Stattdessen gewinnen alternative, langfristige und dezentral strukturierte Beschaffungsalternativen an Bedeutung, da die Börsenpreise steigen und die Nachhaltigkeitsanforderungen für produzierende Unternehmen zunehmen. Es ist dringend erforderlich, bekannte Beschaffungsformen und -modelle zugunsten eines alternativen Beschaffungsmarktes teilweise aufzugeben und eine neue Vereinbarkeit von stabilen Energiekosten, einem reduzierten CO2- Fußabdruck, der an Herkunftsnachweise gekoppelt ist, und einer verbesserten Versorgungssicherheit herzustellen. Wir geben einen ersten Ausblick darauf. Der Energieliefervertrag, ob mit oder ohne physische Bindung (On-Site-/Off-Site-PPA) zwischen Anlagenbetreiber und Abnehmer, gewinnt an Bedeutung, da er im Kontext der aktuellen Preisdynamik eine risikoärmere und diversifiziertere Strombeschaffung ermöglicht. Perspektivisch kann er einen wichtigen Bestandteil im Energieeinkauf der Zukunft darstellen.

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